Und plötzlich Thailand

„Und wo sind Ihre Visa-Dokumente?“, fragt die freundliche Dame in Bangkok am Transitschalter der Vietnam-Airline. Die Fragezeichen, die sich über unseren Köpfen bilden, müssen greifbar sein, groß wie sie sind. „Visa-Dokumente?? Wir dachten, um nach Vietnam zu kommen, brauchen wir „Visa on arrival“!“ „Ja“, bestätigt die Dame von Vietnam-Airlines, „aber die müsst ihr vorher beantragen. Ich muss mindestens die Bestätigungs-e-mail sehen, dass ihr den Antrag gestellt habt. Ohne könnt ihr nicht weiterfliegen.“ „Oh nein!!“

Vor der Reise wurde uns versichert: “Die Visa-on-arrival bekommt ihr direkt auf dem Flughafen, ihr müsst nur Passbilder dabei haben.” Darauf hatten wir uns verlassen. „Können wir diesen Antrag jetzt noch stellen?“ Miss Vietnam-Airlines schaut kritisch auf ihre Uhr: „Ihr müsst euch sehr, sehr beeilen. Geht in ein Internet-Cafe und stellt den Antrag bei der Vietnamesischen Botschaft. Vielleicht schafft ihr es noch.“

Es ist eigentlich ein Wunder, dass uns das noch nicht früher passiert ist, verpeilt wie wir in Reisedingen manchmal sind. Wir haben schon mal einen Flug verpasst, weil wir am falschen Tag am Flughafen waren, das ist aber lange her. Auf der Reise jetzt sind wir in Toronto zum falschen Flughafen gefahren, womit der gebuchte Flug futsch war. Bei der Einreise in die USA konnten wir die Einreisegebühr nicht bezahlen, weil wir kein Bargeld dabei hatten – Hillary und Malcolm aus Ottawa halfen uns aus der Patsche. Und in Neuseeland mussten wir ungeplant eine Woche rund um Auckland zubringen, weil wir es nicht geschafft haben, die Öffnungszeiten der chinesischen Botschaft einzuhalten.

Bei allem Nerv, den solche Verzögerungen mit sich bringen, ist es doch unsere Erfahrung: Geld und Zeit richten die Dinge. Vor allem, weil sich meistens etwas ergibt, das wir sonst nicht erlebt hätten. Durch unseren längeren Aufenthalt in Auckland sind Und plötzlich Thailand - Museum Waitangi Treaty Groundswir zum Beispiel länger als geplant auf der Nordinsel geblieben und haben Ausflüge in die schönsten Buchten gemacht, haben Waitangi Treaty Grounds besucht, einen historischen Ort, an dem Engländer und Maori einen Friedensvertrag unterzeichnet und damit die neuseeländische Nation gegründet haben. Und wir waren in Cape Reinga, dem nördlichsten Punkt Neuseelands, an dem, so glauben die Maori, ihre Seelen der Verstorbenen ihren Heimweg auf die legendäre Heimatinsel Hawaiki antreten. Kein Wunder, denn diese Stelle Neuseelands hat etwas wirklich Und plötzlich Thailand - Cape Reinga, Ninety-Miles-BeachMajestätisches. Auf der einen Seite Steilküste, auf der anderen Seite zieht sich der Ninety-Miles-Beach. Und direkt vor dir stoßen der Pazifik und die Tasman Sea zusammen und bilden einen magische Schaumkronensaum mitten im Meer.

Jetzt auf dem Flughafen in Bangkok versuchen wir allerdings noch den Regenbogen zu biegen und in aller Eile die nötigen Dokumente zu besorgen. Zwei Stunden haben wir. Schnell! Doch mühsam und langatmig gestaltet sich das Ausfüllen. Das Internet spielt uns immer wieder Streiche. Als wir schließlich die horrenden 256 Euro für den Super-urgent-Antrag bezahlen wollen, akzeptiert das System unsere Karte nicht. Warum auch immer. Ein Anruf bei der Botschaft macht klar: Heute wäre das sowieso nicht mehr geworden, super-urgent heißt nicht etwa sofort, obwohl es im Internet genauso beschreiben ist. Nein, wir würden die Dokumente sowieso erst morgen haben. Schicksal, Zufall, Fügung? In jedem Fall Glück für unsere sowieso schon strapazierte Reisekasse.

Damit ist es entschieden: Wir bleiben in erstmal in Bangkok. Thailand hatten wir im Vorfeld von unserer Länderliste gestrichen. Wir dachten, das ist ein Land, in das wir vielleicht auch so noch einmal fahren werden. Das Schicksal hat das wohl anders gesehen. Wer weiß, warum.

Und plötzlich Thailand - Das Hotel "Blue House"Nun buchen wir im Internet ein kleines Hotel namens „Blue House“ im Viertel Samsen. Ein Glückstreffer, wie sich später herausstellt. Denn es ist ganz neu, liegt ganz ruhig in einem Hinterhof, und das Viertel drumherum ist, nach dem Trubel der Hauptstraßen, geradezu dörflich. Ein bisschen hat es was von Kreuzberg, finden wir.

Vom Flughafen zum Hotel dauert es 40 Minuten, Zeit genug für einen ersten Eindruck. Wir sind überrascht: So sauber, so grün! Von wegen Moloch Bangkok! Allerdings ist es heiß. Viel heißer als auf den Philippinen. Und feucht. Ohne Klimaanlagen ist es nicht auszuhalten – was bedeutet, dass wir uns auf unserer Reise das erste Mal eine Erkältung einfangen.

Und plötzlich Thailand -philippinisches TuktukDer nächste Morgen führt uns, na klar, zur Hauptattraktion Bangkoks, zum Königspalast. Wir fahren natürlich mit dem Tuktuk. Seit den Philippinen sind wir verliebt in diese dreirädrigen, bunten Kisten. Allerdings, im Vergleich zu jenen auf den Philippinen ist ein Tuktuk in Thailand ein Benz. Und plötzlich Thailand - TuktukGeradezu luxuriös und verkehrssicher und ganz und gar nicht abenteuerlich. Die kurze Fahrt bringt uns zum wohl überlaufensten Platz Bangkoks, wenn nicht ganz Thailands. Die Menschen, die sich aus allen Himmelsrichtungen drängen, werden per Megaphon gelenkt. Rein kommt nur, wer ziehmlich gekleidet ist. Wir sind es nicht, die Hose und der Rock sind zu kurz und lange Ärmel gibt es schon gleich gar nicht. Unser Versuch, sich an der gestrengen Eintrittsdame vorbei zu schleichen, scheitert im Ansatz.

Und plötzlich Thailand - PalastwacheAlso wieder zurück, vorbei an den grimmig schauenden Soldaten, die den Palast bewachen und unseren Kindern Angst machen. Vor den Mauern verkaufen findige Thais Wickelröcke und Tücher an Touristen, die, wie wir, falsch gekleidet sind – wir entscheiden uns dagegen. Bloß weg. Wir wollen ans Wasser, aufs Wasser. Ein Tuktuk-Fahrer bringt uns zur Anlegestelle, wo wir eine quasi private Bootsfahrt durch die Kanäle der Altstadt buchen. Eigentlich wollten wir nur eine Weile mit dem normalen Boot des Nahverkehrs fahren, aber egal. Jetzt sind wir hier und steigen zusammen mit einem chinesischen Paar in unsere stark motorisierte Gondel, um durch die Altstadt zu rasen.

Und plötzlich Thailand - Tempel in BangkokWährend wir uns gefangen nehmen lassen von den pittoresken Zinnen und Türmchen, den ziselierten und vergoldetem Tempeln, haben unsere asiatischen Begleiter nur Augen für sich selbst. Porträt-Fotostrecken werden von Selfies abgewechselt. Ob die beiden überhaupt etwas von ihrer Umwelt wahrgenommen haben? Wer weiß. Menschen reisen unterschiedlich, haben wir festgestellt. Jeder nimmt sich selbst mit auf eine Reise und wenn Du Hause vernagelt und nur auf Dich bezogen bist, wird sich das auf Reisen ähnlich verhalten. Reisen als Statussymbol: Schau, hier bin ich gewesen. Und natürlich geht’s dabei um Konsum. Viele Chinesen und Russen reisen auf die Weise. Aber auch in deutschen Small-Talk-Gesprächen haben wir oft ein befremdliches Gefühl, wenn davon gesprochen wird, was “man so abhakt” auf der Reiseliste und was sich “lohnt”. Seltsam abgeklärt sind schon 20-Jährige – oder wollen sie nur so wirken?

Die Fahrt auf dem Wasser bringt die erhoffte Kühlung und nach einer Stunde wirft uns das Boot an einer Station der öffentlichen Bootslinie raus, der Fahrer verlangt dafür noch mal eine Landungs-Gebühr (manchmal ist es doch besser, sich vorher ein klitzekleines bisschen zu informieren – viel zu teuer war diese Fahrt, auch wenn sie schön war). Dort drängen sich die Menschen in Restaurants, Marktständen und um Ticketverkaufsstellen. Wir erfahren, dass wir von dort mit einem normalen Boot zu unserem Viertel fahren können, natürlich zu einem Witzpreis. Das machen wir dann auch.

Das Boot ist natürlich gestopft voll und wird beherrscht von einer grimmigen, brüllenden Thai-Frau, die das Geld für die Tickets einsammelt und die Passagiere nach Gutdünken umhertreibt. Aber auch dieser Felsbrocken kann sich dem Charme unseres jüngsten Sohns nicht entziehen, ein Lächeln zeigt sich, wahrscheinlich höchst ungewohnt für ihre Gesichtsmuskulatur, und als wir aussteigen müssen, ist sie sehr zuvorkommend.

Und plötzlich Thailand - glückliche FischeFütterst Du Fische bringt das Glück, lernen wir an der Anlegestelle. Hier winden sich unzählige, riesige Fischleiber im Hafenbecken. Daneben zum Verkauf: gigantische Säcke aus geschredderten Pfannkuchen und Toastbrot. Fischfutter, Glück in Tüten.

Und plötzlich Thailand - GlücksverteilungGerade füttern zwei Frauen die fetten Fische. Unsere Kinder wollen auch und sie wissen inzwischen, sie können alles kriegen, nur weil alle sie niedlich finden. Das klappt auch dieses Mal und beide bekommen händeweise Glück geschenkt. Sie schenken es den Fischen weiter, die sich mit ihren behäbigen Leibern gierig darauf stürzen – könnte ja das letzte Glück sein, das ihnen beschieden ist.

Am Abend treffen wir eine deutsche Familie, die wie wir auf Weltreise ist. Ihr Sohn ist ein bisschen jünger als Theo und auch sie hatten viele Bedenken auszuräumen, bis sie die Idee umsetzen konnten, auf Weltreise zu gehen. Sie waren bereits am Ende ihrer Reise – und des Unterwegsseins ein bisschen müde. Sich nicht mehr täglich um Unterkunft, kindgerechtes Essen, Windeln kümmern zu müssen, darauf freuten sie sich sehr. Denn natürlich ist so ein Leben unterwegs auch wahnsinnig anstrengend, trotz und auch wegen der unzähligen Eindrücke. Ruhe finden, mal irgendwo ankommen sind nicht zu unterschätzende Punkte. Ist eine Woche Bangkok dafür das Richtige?

Petra