Unbeabsichtigt wegen Visaproblemen in Thailand gestrandet, versuchen wir Bangkok als einen Ort der Erholung zu begreifen. Bangkok und Erholung? Das klingt wie ein schlechter Witz. Ist es auch, was den Geräuschpegel und das feucht-heiße Klima betrifft. Aber wir kommen von den klimatisch ähnlichen Philippinen und waren zuletzt in Cebu-City. Eine Stadt, die einem nicht nur sprichwörtlich den Atem verschlägt. Am Abend wabert die Luft in bräunlichen Schwaden vor den Autoscheinwerfern, der Schwefel aus den Abgasen riecht penetrant süßlich, die Gullideckel und Müllecken konkurrieren miteinander. Ein Glück, dass wir nur noch eine Nacht in der Nähe des Flughafens verbringen, nach wirklich schönen Strandtagen auf Panglao.
In Bangkok betört uns – auch die Kinder auf der Stelle – das fantastische Essen. Ist das nicht immer scharf? Ja, wundervoll scharf, hilfreich bei der Hitze und gegen Bakterien, aber für die Kinder heißt es immer: “no spicy!” Gar kein Problem. Das können sie schon selbst auf Englisch sagen. Die Menschen hier sind so kinderlieb, dass wir spontan an die Rückkehr denken. Wie werden sie Deutschland empfinden, nach all der Herzlichkeit?
Wir freuen uns auf die Lieben daheim, vor allem, als uns eine weltreisende Familie mit Kleinkind begegnet, die begeistert berichtet, aber auch des Reisens müde geworden ist: “So viel Zeit, jeden Tag, für das ganz Normale. Alle paar Stunden essen organisieren, neue Unterkünfte, neue Routen… Es ist schon schön, dass es bald nach Hause geht.” Auf einmal merke ich, dass es mir ähnlich geht. Dass mir das Zuhause fehlt, ein Zuhause, ein Ankommen, ein einfach nur Sein. Auch Zeit zum Arbeiten. Da haben wir uns überschätzt oder besser: den Alltag auf Reisen mit Kindern zu organisieren unterschätzt. Zeit zum Schreiben wäre schön. Jetzt ist gerade angesagt: Einfach nur die tausend und mehr bunten Eindrücke am Tag verdauen und sich runterkühlen.
In Bangkok, generell in Thailand, gibt es da professionelle Unterstützung an jeder Ecke. Auf dem Hinweg zur Massage habe ich eher das Gefühl, dass ich krieche vor Erschöpfung, auf dem Rückweg bin ich wieder ein Mensch. Thai-Massagen haben nichts damit zu tun, sanft gestreichelt zu werden, sie gleichen eher einer Rundumüberholung. Einmal auseinanderbauen und wieder zusammensetzen. Es wird gebogen und gezogen, gewalkt und mit den Füßen bearbeitet, kräftig beklopft, mit den Ellenbogen gedrückt und wenn du nicht mehr weisst, wo dir der Kopf steht, krabbelt die Masseurin an dein Kopfende. Du sollst dich an sie lehnen und zum Abschluss bearbeitet sie auch noch dein Gesicht. Das Problem ist nur das Wiederaufstehen. Ich möchte mich gerne in eine Ecke verkriechen und tausend Stunden schlafen. Aber am nächsten Tag muss schließlich das neue Flugticket organisiert werden. Im Backofen Bangkok.
Und jetzt muss ich noch über die Straße. Straßen in Asien sind eine Sache für sich. Für eine nachtblinde und grunderschöpfte Person wie mich eine doppelte Herausforderung. Schon am Tage haben wir im brandenden Verkehr festgestellt, dass Zebrastreifen nichts bedeuten und Ampeln wenig. Motorräder ignorieren sie grundsätzlich. Rot? Was macht das schon? Ich versuche, mich an andere Menschen zu halten, im Pulk die Straße überqueren gibt ein wenig Sicherheit.
Den Flug nach Hanoi umzubuchen erweist sich als weitaus schwieriger als gedacht. Das Büro von Vietnam Airlines in dieser Stadt zu finden, das muss doch möglich sein. Oder etwa nicht? Die Taxifahrer sagen nämlich immer: “Yes!” Auch, wenn sie das Ziel nicht kennen. Noch nie gehört haben. Dass sie grundsätzlich Ja sagen liegt nicht etwa daran, dass sie Englisch nicht verstehen. In Asien “verlierst du dein Gesicht”, wenn du zugibst, etwas nicht zu kennen. Lieber lügen als Nein sagen. Das ist ganz toll, wenn du etwas suchst. Erst später lernen wir, das klitzekleine Zögern zu erkennen, wenn jemand “Yes!” sagt und in dem Falle lieber wieder schnell die Tür zu machen. Wenn es sein muss, zig Mal.
Mit dem Taxifahrer, der sich zutraute, die Adresse ausfindig zu machen, fahren wir eine Ewigkeit und ich muss gefühlte hundert Mal diskutieren, dass “Airlines” wirklich nicht “Embassy” bedeutet, nein, nein, stop! Endlich stehen wir vor der richtigen Tür im 18. Stockwerk. Vor der geschlossenen Tür. Denn es ist bereits Mittagspause. Immerhin: schöne Aussicht hier. Dann machen wir eben auch Mittag. Runter auf die Straße. Nachdem wir uns durch die flirrende Hitze gequält haben, erreichen wir ein kleines Quarree, das mit tollstem Essen an kleinen Straßenständen aufwartet. Hierher kommen die Menschen aus den umliegenden Büros, wir sind die einzigen Touristen, das Essen ist umwerfend. Deswegen also sollten wir so spät dran sein. Das ist die Belohnung, stellen wir schweißüberströmt fest. Ich möchte in den Bottich mit Eiswürfeln klettern und dort bleiben.
Zurück bei Vietnam Airlines sind die Kinder außer Rand und Band. Viel zu wenig Auslauf, immer an der Hand, jetzt bahnt sich die Energie ihren Weg. Ausgerechnet in diesen schicken Räumen, mit diesen perfekt gekleideteten vietnamesischen Menschen. Das Land der Höflichkeit. Und da durch tobt der Mob. Im Versuch, die kreischenden Tiere einzufangen, reisst Petra der Flip-Flop. Na toll. Das passt, nachdem wir erfahren haben, dass wir noch nicht einmal richtig sind, sondern auch noch Air Philippines aufsuchen müssen, denn darüber ging die Buchung. Halleluja. Du möchtest auf der Stelle zusammenbrechen. Ein vietnamesischer Engel tritt auf, bringt Schuhe, die auch noch passen. Nein, nein, die müssen wir nicht bezahlen und auch nicht zurückbringen. Sie mögen unsere Kinder auch tatsächlich immer noch. Vietnam gefällt uns jetzt schon sehr.
Nachdem wir irgendwann tatsächlich unsere Flugtickets haben, sind wir so fertig, dass wir beschließen, alle zusammen bei den Masseurinnen einzufallen. Ich habe da so etwas gelesen, über eine reisende Familie mit Kindern in Bangkok, bei denen das gar kein Problem war. Man stelle sich das in Deutschland vor. Aber zunächst wieder: Weltreise mit Taxi. Ich sitze vorn und zähle 17 Rülpser. Laute. Des Fahrers. Die Krönung des Tages. Hinten höre ich unterdrücktes Lachen und muss mich stark zusammenreißen. Dann finden Anton und Theo eine laminierte Werbung für eine Bar mit leicht bekleideten und geradezu euphorischen Frauen. “Die machen eine Party?” “Genau.” Und was machen die da gerade?” “Erzählen sich einen Witz.” Das ist das Einzige, was wir von dieser Seite Thailands mitbekommen. In unserem Viertel Samsen ist es sehr brav.
In dem Spa, in dem wir lautstark mit der ganzen Meute aufschlagen, findet sich tatsächlich ein seperater Raum mit vier Matten auf dem Boden. Wir haben zwei Stunden Massagezeit und mal kommen wir Großen dran, mal turnen die kichernden Frauen mit den aufgekratzten Kindern, die das Ganze sichtlich genießen. Die Gelenke knacken bei Anton genauso laut wie bei uns, er ist begeistert. Zu Hause wäre das alles unerschwinglich, hier ist das auch mit einem Low-Budget-Reisebeutel möglich.
Am nächsten Tag lassen wir es ruhiger angehen, packen, essen und brauchen wieder sehr, sehr lange, um das Einkaufszentrum zu erreichen, auf dessen Dach sich ein Schwimmbad befindet. Nie wieder werden wir uns über irgendwelche Fahrzeiten in deutschen Städten beschweren. In Asien sind europäische Größenordnungen ein Witz, jede deutsche Stadt ein Dorf, jede Innenstadt lachhaft klein. Das Einkaufszentrum zu durchqueren fühlt sich an wie eine lange, lange Wanderung und wir uns wie Zwerge. Im Wasser gefällt mir zum allerersten Mal die Hitze, die Kinder sind außer sich vor Glück, wir bleiben bis zur Dunkelheit.
Aber auch wenn wir von unserem Viertel, den Tempeln, den netten Menschen, dem vielen Buntem begeistert sind: Nein, richtig zur Ruhe kommen wir hier ganz sicher nicht. Wir suchen im Internet nach einer Alternative am Meer. Die Orte in der Nähe Bangkoks sind entschieden zu rummelig. In der Stadt Hua Hin macht das Königshaus Urlaub, und was Bhumibol gefällt, das kann so schlecht nicht sein und scheint gerade angemessen, oder?
Der breite lange Strand ist berühmt und ein Tempelberg voller Affen, das klingt gut. Alle Taxifahrer wollen uns sofort hinfahren, zwei Stunden, Sonderpreis. Ach nein, wir nehmen lieber einen Regionalzug, dritte Klasse, wir wollen schließlich was erleben. Und der Tag beginnt vielversprechend. Der Taxifahrer, der uns morgens zum Bahnhof bringt, ist der Erste, der überhaupt mal ein Taxameter anmacht und mit dem wir nicht über doppelt- oder hundertfache Preise verhandeln müssen. Eine ehrliche Haut, endlich. Wir sind ganz gerührt. Er gibt uns sogar etwas Geld wieder. So ein netter Mensch! Viel später begreifen wir, warum. Er hat uns einfach sehr lange im Kreis gefahren.
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