Couchsurfen im Kleiderschrank

Endlich in New York! Nach 10 Stunden Fahrt mit dem Amtrak-Zug kommen wir gegen halb neun abends in Penn Station in New York an. Die Kinder sind erstaunlicherweise noch immer gut drauf und toben durch die Halle. Die gestrengen New Yorker schauen irritiert, sonst ist kein Kind mehr unterwegs, wir werden gefragt, ob alles in Ordnung ist. Na klar, in bester Ordnung, wir freuen uns auf’s Couchsurfing! Und so versuchen wir guten Mutes JF, unserem Couchsurfing-Host für diese Nacht, noch einmal zu kontaktieren. Ja, alles gut, er wartet. Ist unser ständiges komische Gefühl, das uns während der Kommunikation mit ihm beschlichen hatte, doch unbegründet? Im Profil stand, er hat einen “Lingerie-Shop”, wohl eher Sexshop, und was er mag: Hot Sex. Aber wer nicht? Das muss ja nicht zwingend ein unzuverlässiger Couchsurfing-Gastgeber sein. Oder?

New York ist groß und so braucht es eine geraume Zeit, bis wir von Manhattan nach Brooklyn gelangen – die Tickets für die Metro müssen mühsam gekauft sowie unser zentnerschweres Gepäck und die Kinder treppauf, treppab geschleppt werden. Stunden später sind wir immerhin in der Nähe der anvisierten Adresse, das letze Stück wollen wir mit dem Taxi bewältigen. Eine Beobachtung, die wir gleich an unserem ersten Abend in New York machen: Die Menschen hier sind so hilfsbereit. Von wegen kaltes New York! Insbesondere die Frauen sind wunderbar. Sie sind es, die uns immer wieder Hilfe anbieten, wenn wir mit den schweren Koffern ratlos an U-Bahn-Schächten stehen oder den Weg verloren haben.

Die Taxifahrer entsprechen hingegen ihrem Ruf. Der, der uns endlich an die richtige Adresse fährt, ist schlicht verrückt. Er spricht nicht mit uns, flucht vor sich hin, wirkt wie unter Drogen und schmeißt uns am Ende die Koffer vor die Füße. Egal – wir sind da. Und JF ist auch da und hat uns sogar erwartet – was, wie wir später begreifen werden, nicht selbstverständlich ist. Als erstes kommt von ihm der Hinweis: “Bitte sagt nicht, dass ihr Couchsurfing-Gäste seid. Sagt lieber, ihr seid Freunde.” Verwunderung auf unserer Seite, aber “Alles klar, kein Problem”. Endlich oben angekommen, dann die nächste Überraschung: JF zeigt uns seine geräumige Wohnung und erklärt uns dabei ganz beiläufig, dass er – wir sähen es schließlich selbst -, gar keinen Platz für uns hat. Die ganze Wohnung sei schon mit anderen Couchsurfern belegt. Ja, das sehen wir. “Und diese Couch da?” “Da darf niemand drauf schlafen, wirklich niemand.”

Ist das ein Witz?! Wieso hat er uns denn überhaupt eingeladen? Er hat uns doch noch im Telefongespräch am Tag zuvor gesagt, wir sollen kommen? Und vor wenigen Stunden noch auf unsere Mail positiv geantwortet. Und dann vorhin noch mal am Telefon. Nun, lautet seine verschwommene Erklärung, er hätte irgendwie erst nächste Woche mit uns gerechnet…

Was nun? Der Versuch, halb elf Uhr nachts noch ein Hostel, Hotel, irgendwas Bezahlbares in New York zu finden, scheitert schon im Ansatz. Alles belegt. Ratlos schauen wir uns an. JF, dem unsere Notlage nun auch peinlich zu werden beginnt, schlägt vor, er könne uns seinen begehbaren Kleiderschrank für eine Nacht anbieten. Der ist allerdings, nun ja, vollgerümpelt, vollgestellt. Okay. Immerhin. Wir räumen uns ein Plätzchen frei. Gibt es irgendeine Form von Matratzen, Decken, Kissen? “Nein, nichts.” Oh please! Egal, die Kinder, die bisher all dies Hin und Her geduldig ertragen, sind nun wirklich müde. Wir wollen alle Sachen aus dem Koffer räumen und uns mit Tüchern und unserer treuen Picknickdecke zudecken, die uns schon seit vielen Jahren auf allen Reisen begleitet. Für eine Nacht wird es schon gehen.

JF, der unsere Bemühungen beobachtet, gibt sich schließlich einen Ruck und bietet uns an, doch in seinem eigenen Bett zu schlafen. “Dann gehe ich auf das Sofa. Das kann ich einfach nicht machen, mit den kleinen Kindern. Die sollen nicht auf dem Boden schlafen.” Wir sind überrascht, erleichtert – und dankbar. Dass uns JF dann im strengen Ton bittet, vor dem Zubettgehen doch sofort zu duschen, weil, “I’m a kind of a clean guy”, irritiert uns, ist uns nun aber auch schon gleichgültig. Wir springen unter die Dusche – die recht haarig ist – und dann geht’s endlich ins Bett.

Die Nacht endet früh – wie immer mit kleinen Kindern -, aber auch, weil wir natürlich so früh wie möglich die Wohnung verlassen wollen. Irgendwie haben wir uns gar nicht wohlgefühlt… Also schnell die Sachen zusammengesucht und raus auf die Straßen Brooklyns. New York, wir kommen!

Lustiger Nachtrag: Dass wir über diese missliche Situation und ungute Erfahrung eine entsprechende Bewertung im Couchsurfing-Profil abgegeben haben, ist klar. Wir seien dankbar für sein Bett gewesen, so schrieben wir sinngemäß, aber für Familien mit kleinen Kindern ist JF vielleicht nicht der Richtige. Eine Bewertung, mit der er so ganz und gar nicht einverstanden ist. Es folgen mehrere Mails, in denen er uns anfleht, unsere Einschätzung zu ändern und sich beleidigt gibt. Vor allem, weil Alex ihn nicht als Facebook-Freund akzeptiert hat. Das hat ihn sehr schwer getroffen. Dann gibt es eine schlechte Bewertung über uns im Couchsurfing-Profil, in der er behauptet, die Kinder hätten etwas kaputt gemacht und dass wir echt undankbar seien. Wir beschweren uns beim Büro, weil der Ton der Mails echt verrückt klingt. Sie löschen später freundlicherweise alles.  Dann erreicht uns eine nette Mail seiner Frau – oder Ex-Frau? Sie hat unsere gegenseitigen Bewertungen gelesen und fragt, was denn genau passiert sei, ob sie helfen könne und in welcher Wohnung er uns überhaupt untergebracht hat. Nach unserer Antwort schreibt sie uns, dass ihr das Ganze schrecklich seid tue und: “Vielen Dank für die Informationen. Jetzt werde ich nun wirklich endlich die Scheidung einreichen.” Der arme Mann. Was Couchsurfing doch bewirken kann…

Welche lustigen Übernachtungsgeschichten habt ihr erlebt? Ist bei euch immer alles glatt gelaufen?

Petra