Obdachlos in New York

Nach unserer ersten wirklich schlechten Couchsurfing-Erfahrung stehen wir morgens um acht auf den Straßen Brooklyns. Ungeduscht, mit zuviel Gepäck für Leichtfüßigkeit und, ach ja, mit zwei kleinen Kindern. Schön ist was anderes. Was ist also als nächstes zu tun? Frühstück. das hilft immer! Wichtig ist, dass wir im Lokal Wifi haben, denn nach unserer Einreise in die Staaten funktioniert natürlich die kanadische Sim-Karte im Telefon nicht mehr. Wir brauchen aber einen Internetzugang, denn wir müssen uns dringend um eine bezahlbare Unterkunft für uns vier kümmern. Sollte ja nicht so kompliziert sein, beides unter einen Hut zu kriegen, wir sind schließlich in New York, oder? Ist es aber offensichtlich doch. Am Ende landen wir bei McDonalds, da gibt’s neben Internet auch noch schwarzen Kaffee umsonst. Außerdem sitzen wir in einer antiken Halle voller Stuck, ein Schmuckstück des Jugendstils – ein wunderbarer Einstieg in den American Way of Life!

Die ekelhaften Frühstücksburger begeistern nur die Kinder, Alex holt sich im karibischen Bäcker nebenan etwas zu essen und ich versuche verzweifelt über Airbnb eine Unterkunft für uns vier zu finden. Airbnb ist ein Internetportal, bei dem Privatleute Zimmer ihrer eigenen Wohnung, manchmal auch ein ganzes Appartement oder Haus, für weniger Geld als Hotels vermieten. Du kannst einstellen, für welchen Zeitraum du suchst und für wie viele Personen. Anschließend kannst du sehen, welche Unterkunft verfügbar ist, welche Ausstattung geboten wird und wie die Behausung aussieht. Du fragst einen potentiellen Gastgeber an und kriegst in der Regel relativ zügig Bescheid, ob er oder sie dich beherbergen kann. Zeit ist relativ und wenn man warten muss, dehnt sie sich. Gefühlte Stunden haben wir in dieser McDonalds-Filiale an der Church Street/ Ecke Nostrand Ave zugebracht. Dann endlich sagt Brian zu, der einen “Master Bedroom” in Park Hights/ Brooklyn offeriert. Erleichterung und Jubel! Einen Master Bedroom finden wir sehr angemessen.

Nächster Schritt: Unser Telefon auf die US-amerikanischen Netze einnorden. Auf der anderen Straßenseite gibt es einen Shop, also nichts wie rein. Halt stop, die Kinder! Wieder raus! Bevor die den Laden auseinander nehmen, bleiben sie besser draußen. Drinnen Schlangen. Anmelden. Warten. Draußen ein breiter Bürgersteig, eine klitzekleine Baustelle, wo die Gehwegplatten hochgehoben sind und der nackte Sand zu sehen ist, drumherum eine Absperrung. Außerdem ein paar Pappkartons. Alles in allem ein ideales Kinderparadies – für unsere Kinder jedenfalls. Stundenlang können sie sich mit einem Pappkarton beschäftigen, Höhlen und Häuser konstruieren, wieder alles einreißen, von Neuem beginnen und das tun sie auch. Außerdem muss ja unbedingt die Baustelle erkundet werden. Alex, die bei den Kindern wartet, hat es unerwartet leicht – und ruft unerwartet Mitleid hervor.

Eine Mutter mit zwei kleinen Kindern, bepackt mit zwei großen Koffern – die ist bestimmt aus der Wohnung geflogen! So denken die Passanten in Brooklyn und zeigen ihr gutes Herz. “Ein Kaffee hilft vielleicht”, sagt ein Passant und bietet Alex das entsprechende Getränk an. Ein anderer will Geld geben und die kleine Pizzaria an der Ecke schenkt ihr und den Kindern Pizzastücke, Alex verspricht im Gegenzug auf jeden Fall eine Postkarte von weit, weit weg zu schreiben.

Drinnen bin ich endlich dran, Peter ist mein Berater und kümmert sich engagiert um mein Anliegen – vielleicht weil ich die einzige Weiße und außerdem Ausländerin bin? Jedenfalls werden die anderen Kunden durchaus nicht so zuvorkommend behandelt. Nach einigem Hin und Her habe ich endlich, was ich will und nach einer weiteren halben Stunde und mit der Unterstützung von Peter bin ich endlich drin, im Netz.

Jetzt aber schnell in unseren Master Bedroom nach Park Hights. Ein Taxi fährt uns hin – drin ist wieder einer von den verrückten Taxifahrern, sind die in New York eigentlich alle vollkommen wahnsinnig? –  dieser hier fährt jedenfalls wie der Henker und ist selbstverständlich unglaublich unfreundlich. Wir schleppen unsere Koffer in das hochherrschaftliche Großbürgerhaus. Brian selbst ist nicht da, aber sein Mitbewohner Tim weiß Bescheid und zeigt uns das beeindruckende Schloss. Ich wäre nicht verwundert, würden aus den unzähligen Gängen Bedienstete eilen, um uns unser staubiges Gepäck abzunehmen. Doch dafür sind wir wohl 100 Jahre zu spät. In den heiligen Hallen residiert nun eine siebenköpfige WG mit all dem typischen Kuddelmuddel in Einrichtung und Küchenausstattung – und ganz oben im romantischen Turmzimmer wohnen ab heute wir. Riesenhaft ist der Master Bedroom. Bestimmt 60 qm, insgesamt drei Schlafgelegenheiten und mit eigenem Badezimmer. Drin eine runde Badewanne mit Goldfüßchen, in der wir alle vier ohne Probleme Platz finden. Nach dem mühsamen Tagesbeginn ist dies eine wunderbare Belohnung. Und sogar für unser Gepäck bekommen wir Unterstützung: der galante Tim hilft uns ächzend, die schwere Last unter’s Dach zu schleppen. Wir fühlen und wie Könige und Königinnen!

Aber, ach, das Glück währt nur kurz. Kaum haben wir unser neues Heim in Beschlag genommen, klingelt mein Telefon. Eine New Yorker Nummer. Wie kann das sein? Ich habe diese Nummer doch erst seit ein paar Stunden? Alex meldet sich, wird bleich: “Wir haben unser Portemonnaie auf der Straße verloren!” “Wie? Was? Wir haben doch gerade eben noch das Taxi bezahlt? Und wie können die denn unsere Nummer haben?” “Keine Ahnung”, sagt Alex, “sie kommen jetzt vorbei und bringen es uns.”

Unten auf der Straße treffen wir John und Myriam, sie haben unser Portemonnaie vollständig und inklusive Bargeld bei sich. Dem Himmel sei Dank! Tonnenschwere Last fällt von uns ab. Die beiden Fahrradfahrer waren offensichtlich kurz nachdem wir das Taxi Richtung Master Bedroom verlassen hatten, an dem Haus vorbeigefahren und haben unser Portemonnaie auf der Straße gefunden. Nicht im Ganzen, sondern verstreut in alle Einzelteile. Die beiden hielten an und haben sich zum Glück die Mühe gemacht, jeden einzelnen Fetzen aufzuklauben, um sich mit geradezu detektivischem Gespür auf die Suche nach einer Kontaktmöglichkeit zu uns zu machen.

Und das war nicht gerade einfach. Aber im Portemonnaie steckte unter anderem auch die Visitenkarte von Peter, der mir morgens die amerikanische Sim-Karte samt Vertrag verkauft hatte und die ich zum Glück eingesteckt hatte. Die beiden Retter riefen Peter auf gut Glück an, der wiederum konnte sich tatsächlich an mich erinnern. Und die Nummer, die zu meinem Vertrag gehörte, hatte er auch noch parat – Zufall, Fügung? In jedem Fall unerhörtes Glück! Denn im Portemonnaie waren alle unsere Bank-Karten, bei einem Verlust, hätten wir die Reise abbrechen müssen. Ersetzen lässt sich nämlich so eine Karte aus dem Ausland nicht. New Yorker sind kalt, egozentrisch und kümmern sich nur um sich selbst? Ganz im Gegenteil! Wir sind beeindruckt von ihrer spontanen Hilfsbereitschaft, selten sind uns so schnell so viele Menschen mit so großem Herz begegnet. New York mag ein riesiges Ungeheuer sein, das niemals schläft, aber ein liebes, das wir ins Herz geschlossen haben.

 

Petra