Die Atacamawüste. Ein Sehnsuchtsort. Ein Fürchteort. Im Vorfeld der Reise sah ich uns natürlich – wider alle guten Ratschläge – auf eigene Faust diese faszinierende Landschaft entdecken. Petras Augen glitzerten. Meine auch. Ich liebe Wüsten. Weite. Farben. Die Leere, die einen ganz erfüllt, bis du merkst, dass es gar nicht leer ist, sondern innerlich Weite schenkt, damit du bereit bist für all die Formen und Farben. Die Atacama ist die trockenste Wüste der Welt. 15 Millionen Jahre alt. 105.000 Quadratmeter groß. Und doch leben hier Menschen, dort, wo es Quellen gibt.
Jährlich unterschätzen etliche Menschen die Gefahren dieser Wüste. Sie verdursten schlichtweg, der Körper braucht in diesem Klima sehr viel mehr Flüssigkeit. Da gibt es keine Knautschzone, das flößt gehörigen Respekt ein. Was werden wir dort tun? Ein paar Tage Akklimatisierungszeit sind angebracht, denn der Ort San Pedro de Atacama liegt schon auf 2450 Metern Höhe. Wer weiter zu den Schönheiten der Wüste möchte – türkise Salzseen, Kristalle bis zum Horizont, sprudelnde Geysire, die unvergleichlichen Felsformationen des Valle de la Luna – muss noch höher hinauf. Wer zu schnell weiter will, wird höhenkrank. Wir wollen vorsichtig sein.
Doch erst einmal hinkommen. Wie? Mit dem Bus natürlich! Man kommt in Chile fast überall hin mit dem Bus. Und Busfahren ist schön. Die Sitze sind breit, kein Vergleich zum Flugzeug. Wenn du im ersten Stock sitzt, am Besten ganz vorne, hast du eine umwerfende Aussicht. Es ist wie ein sehr, sehr langer Kinofilm, nur besser. Auf der Panamericana, die durch fast ganz Chile führt, liegen die Anden immer auf der einen Seite, das Meer auf der anderen. Dieses Land ist eine endlose Anreihung schönster Landschaften, ein Festmahl für die Augen.
Das gilt allerdings nur für die, die ein wenig mehr planen und ein paar Tage vorher gute Karten bei einem bekannten Busunternehmen buchen. Gut heisst ist in Chile: die “Cama”-Plätze, auf keinen Fall “Semi-Cama”. Das wissen wir aber noch nicht. Wir stehen am Busbahnhof in La Serena und grübeln. Es gibt nur noch Semi-Cama. Sollen wir das machen? Für Spontane wie uns bleiben selbst in der Semi-Cama nur noch die Restplätze. Ach, was soll`s, wir machen das, das wird schon gehen. Eine Fehlentscheidung.
Unsere Plätze sind versteckt, ganz hinten, es gibt keine Aussicht. Dafür sind wir neben dem Klo und direkt an der donnernden Heizung. 30 Stunden dauert die Fahrt nach Norden. Das wird eine heiße Nacht. Unterbrochen wird die Tour immer dann, wenn draußen jemand mit einem Korb winkt. Nicht, weil da jemand zusteigen will. Nein, die Winkenden an der Straße offerieren kleine Köstlichkeiten, die das Reisen mit den Überland-Busse noch angenehmer werden lässt. Da gibt es selbst gemachtes Karamel, chilenisch: Manjar oder Küchlein, Nüsse und chilenische Empanadas, von denen wir alle gar nicht genug bekommen können: Hefeteigteilchen mit einer köstlichen Mischung aus in Rotwein geschmortem Rindfleisch mit Zwiebeln, gekochtem Ei, schwarzen Oliven und manchmal auch Rosinen.
Aber auch mit den Köstlichkeiten wird die Fahrt zum Alptraum. Hitze und wühlende, schmusige Kinder, denen es – über uns gebreitet – gut geht, lassen uns am späten Morgen im kleinen San Pedro de Atacama komplett gerädert aussteigen. Petra ist so erschöpft, dass sie mit Theo auf dem Arm aus der Tür fällt. Gerade noch mal gutgegangen, wenn auch sehr schmerzhaft. Die Kinder sind quietschfidel und begeistert von dem Ort: Steine, Sand, Kinderparadies Geröllspielplatz. Umgeben von einer staubigen Ebene in Grau. Am Horizont Vulkane. Der Wind pfeift uns um die Ohren, trocknet in minutenschnelle alles aus, Mund, Augen, Haut. Wir fragen uns, warum um Himmels willen hier Menschen leben?
Doch die Wüste ist voller Bodenschätze: Gold, Lithium und vor allem Silber. Luft wird durch Trockenheit sehr klar, deshalb sind auch hier jede Menge Sternwarten. Die USA hat in der Atacama-Wüste sogar Raumfahrzeuge für den Mars getestet, denn die Bedingungen sind nahezu die gleichen. Das merken wir sofort, so ganz ohne Raumfahrt-Anzug: die Lippen reißen ein, wir blinzeln uns durch die Sturmböen und cremen, was das Zeug hält. Atmen etwas ist plötzlich anstrengend, wir merken die Höhe, aber die klare Luft ist wundervoll.
Es dauert eine ganze Weile, bis wir das gebuchte, kleine Hostal Millantu am Rande des Dorfes gefunden haben. Ich irre umher und lande in Sackgassen. Das Hostal sollte doch um die Ecke liegen! Mit Koffern und Kindern durch den Staub, völlig erschöpft, kein Vergnügen, wir nehmen doch ein Taxi. Stockbetten, Dusche, eine kleine Küche mit Tee, nach dieser Nacht ist alles luxeriös. Anton schleppt in sengender Hitze Steine umher, das ist seine persönliche höchste Form des Luxus. Buddeln am Rande des Dorfes mit Blick auf einen Vulkan – den Licancabur – bei 30 Grad. Petra versucht in stundenlanger Arbeit, Fotos hochzuladen und zu sichern. Es geht um die Walbilder, die Seehund-Babys, die Schönheit der Landschaften rund um Pisco Elqui. Vergeblich. Das Netz ist zu langsam. Wir haben Glück, dass es überhaupt funktioniert. Noch stört uns diese technische Schwachbrüstigkeit nicht. Die Höhenluft macht uns gerade einfach glücklich, seltsam beschwingt schleppen wir uns ins nächste Lokal, köstlich wie immer ist das Essen.
Am nächsten Tag machen wir uns auf, die Umgebung zu erkunden. Der Ort wirkt wie eine Filmkulisse, weiße Häuser, gerade staubige Wege, eine Kirche in der Mitte, eine der ältesten des Landes. Der Kirchplatz liegt ausgestorben in der Hitze, die nach der Kälte der Nacht überraschend extrem wird. Ein Ausflugsunternehmen reiht sich an das andere und sehr viele Läden mit Kunsthandwerk. Touristisch. Das wird ja oft schnell abgewertet. Aber ist es verurteilenswert? Es sind schöne, handgestrickte Sachen aus weichster Alpakawolle, Instrumente, Schmuck. Die Menschen der Region haben nicht viele Verdienstmöglichkeiten.
Nahe San Pedro erstrahlen türkise Salzseen. Wir entdecken das 3500 Quadratmeter große Salar de Atacama-Gebiet. Manche Salare sind voller giftiger Mineralien, manche gesundheitsförderlich. Gut, Ortsansässige mit dabei zu haben. Noch dazu, weil Anton verliebt in Salz ist. Hier liegt Salz, so weit das Auge reicht. Er darf probieren, sammelt Salzsteine, er ist reich. Das ist pures Glück. Zuhause wollen wir Sole daraus machen. Jeden Tag ein bisschen Atacama-Wüste. Wir sind schon jetzt sehr verliebt in diese seltsame Welt hier.
Die erste Lagune glitzert hellblau. Verzaubernd. Wir laufen ausgelassen in die Wüstenlandschaft hinein, in Richtung der Vulkansilhouetten. Ich möchte immer weiter laufen, in diese berauschende Leere. Auch die Kinder rennen nach Herzenslust . Eine Fata Morgana mit Zwergen. Ein Zwerg betont immer wieder, dass er hier leben möchte. Die zweite Lagune liegt in einem tiefen Loch, du kannst hineinspringen, wenn du dich traust. Keiner traut sich. In der nächsten, der Laguna Cejas, liegen Menschen auf dem Rücken, strecken ihre Arme in die Luft. Die Szenerie hat etwas zutiefst Surreales: Eine leere Wüste und plötzlich ein Badesee mit kichernden, auf dem Rücken paddelnden Menschen.
Das Wasser trägt wie im Toten Meer und auch hier sind die Mineralien im Wasser sehr gesund. Natürlich steigen wir hinein. Anton weiss schon gut, wie sehr Salz brennt und passt auf. Es ist ein überwältigendes Gefühl, sich einfach auf den Rücken legen zu können. Erst recht, wenn du spürst, dass das Klima dir zusetzt. Meine Gelenke und Muskeln tun seit Stunden so, als hätte ich Schwerstarbeit geleistet. Die Höhe, die Trockenheit, die Hitze, so schön das alles hier ist, ich merke, dass ich nicht dafür gemacht bin. Und jetzt: Der Körper, so leicht und nichts tut weh. Sonne, Salz, im türkisen Wasser – alles ist gut.
Draußen klebt das Salz überall und bildet dicke Krusten. Es gibt tatsächlich eine Quelle hier und tröpfelnde Duschen. Aber auch dieses Wasser ist salzig. Abschließend spazieren wir durch das Juwel der Seenlandschaft: Das Naturschutzgebiet der Laguna Chaxas. Das ganze Gebiet ist überkrustet mit Milliarden glitzernder Salzkristalle, wie Eis und manchmal wie geschliffene Edelsteine. Niemand darf sie betreten, wir haben Mühe unsere Wilden davon abzuhalten. Es gibt doch nichts Schöneres, als Eis zu zertreten. Aber das hier sind Formationen, die Tausende von Jahren brauchten, um so zu wachsen. Flamingos haben hier ein Zuhause, faszinierende rosa Wesen, die sich dem extremen Leben angepasst haben.
Auf dem Weg durch die Wüste können wir immer wieder schweissüberströmte Radfahrer beobachten, die sich in der Hitze durch die Wüste quälen. Der helle Wahnsinn. Kinder schützen vor solchen Aktionen, auch wenn wir uns wir manchmal kurz unwohl fühlen, so als Totaltouristen mit gebuchten Touren. Aber was spricht dagegen, anderen die Schönheiten dieser Welt zu zeigen? In Gruppen unterwegs zu sein, ist bei genauem Hinsehen oft besser für die dort lebenden Menschen und Tiere, als der Individualismus in zig Privatautos. Der Tourismus bringt Einnahmen, früher gab es hier nur die Bergwerke und den Grenzverkehr nach Bolivien. Ein Land, das uns natürlich auch sehr reizt, aber der Weg geht quer über die Anden und die sind hoch. So hoch, dass du es wahrscheinlich mit der Höhenkrankheit zu tun bekommst. Mit den Kindern wollen wir das nicht versuchen.
Stattdessen erfahren wir am nächsten Tag im Museum in San Pedro mehr über die indigenen Völker dieser Region, ihre Überlebenskünste, ihre Werkzeuge und die Geschichte einer der besterhaltensten Mumien aller Zeiten. Mumien halten hier ewig durch die Trockenheit der Luft. Eine Mumie war zu Forschungszwecken einfach mitgenommen worden. Schlimm, denn den Indios sind ihre Toten heilig, die Mumien sind wichtig. Keiner der Forscher hatte vorher gefragt, natürlich nicht. Ein Film dokumentiert die Geschichte der Mumie – sie wurde wieder zurückgebracht. Die Kinder staunen mit offenen Mündern. Früher gab es viele Mumien in diesem Museum, heute sind sie wieder bei ihren Nachfahren. Draußen treffe ich erstaunliche Schweizer, weit jenseits des Rentenalters. Mutig, unter diesen heftigen Bedingungen zu reisen. Sie wollen noch höher hinauf. Unsere Bedenken schwinden. Wir wollen auch!
Im Hostal treffen neue Mitbewohner ein: Deutsche, wie sich herausstellt, eine sehr nette Familie aus Hannover! Der Sohn ist so alt wie Anton, ein Spielkamerad. Er hat wie unsere Naturkinder auch nicht die geringsten Probleme mit der Höhe. Also planen wir den nächsten Ausflug gemeinsam, morgen soll es zu den magischen Landschaften des Valle de la Muerte und zum Valle de la Luna gehen. Vielleicht das Schönste, was Wetter mit Felsen und Salz vollbringen kann. Und wer weiss, vielleicht wagen wir es doch noch: Zum höchstgelegensten Geysirfeld der Welt, den Tatio-Geysiren am Fuße eines Vulkans. Die Atacama-Wüste hat uns gepackt.
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