Was ist Couchsurfing?

“Ihr wollt per Couchsurfing reisen?! Was ist das denn?” Fragen, die uns immer wieder gestellt wurden. Komisch eigentlich, dass diese herrliche Art zu reisen noch so unbekannt ist – zumindest bei Leuten in unserem Alter. Für die Jüngeren ist es klar: Du hast ein Profil im Internet, wie bei Facebook, darin schreibst du alles auf, was dich ausmacht, deine Interessen, deine Leidenschaften, deine Lebensart und, wenn du sie hast, deine schönsten Reise-Erinnerungen. Damit stellst du dich der internationalen Reise-Gemeinschaft vor. Wenn du per Couchsurfing reisen willst, können potentielle Gastgeber schauen, ob du zu ihnen passt. Und wenn du jemanden einlädst, weißt du auch ziemlich genau, wen du dir ins Haus holst.

Das Prinzip basiert auf Geben und Nehmen. Du bist willkommen, wenn du auch willkommen heißt, was nicht zwingend heißt, dass du diejenigen einlädst, die deine Gastgeber waren. Aber niemand schreibt es vor, du musst niemanden hosten, alles ist freiwillig. Du kannst auch nur reisen. Und es gibt einige Leute, die über um die 1000 Leute gehosted haben, aber selber noch nie gereist sind. Erstaunlich, fanden wir. Nachdem wir selbst unsere ersten Couchsurfing-Gäste hatten, verstanden wir diese Leute besser. Es ist einfach großartig. Wie eine eigene kleine Reise. Du reist in die Heimatländer deiner Gäste, lernst ihre Lebensweise, ihre Kultur, ihre Gedanken kennen, oft kochst du auch mit ihnen – du bist weit entfernt und musst noch nicht mal dein Haus verlassen. Toll!

Obwohl wir auch schon früher vom Couchsurfing gehört hatten, ist unsere Weltreise doch das erste Mal, dass wir es selbst ausprobieren.© cochsurfing.com - https://www.couchsurfing.com Davor schien es uns einfach etwas für jüngere Leute zu sein, für Studenten, Alleinreisende, oft junge Männer, die auch gerne Anschluss ans weibliche Geschlecht suchen – was ja nicht zu verachten ist, aber eben nicht mehr Teil unseres Spiels. Und auf Isomatten muss ich jetzt auch nicht mehr dringend schlafen. Dass Familien auch couchsurfen können, wussten wir einfach nicht. In der Vorbereitung der Reise tauchte diese Option dann das erste Mal auf – und eine Parallelwelt öffnete sich vor uns. Weltweit bieten über 3 Millionen Mitglieder in 246 Ländern und in 81500 Städten Übernachtungsmöglichkeiten an (Couchsurfing, 2014) und du findest wirklich in den abgelegensten Ecken Leute, die mitmachen. Sogar in der Mongolei. Sogar in einer Jurte!

Es gibt viele Gruppen beim Couchsurfen, Biofarmer, Schwule und Lesben, tausend Interessengruppen und auch: Family Couchsurfing! Überall auf der Welt gab es couchsurfende Familien. Die selbst reisen, andere Familien einladen und sich per Rundmail austauschen. Alles schien leicht, nichts unmöglich. Wir wären am Liebsten sofort losgefahren.

Wenn du als Familie reist, bist du automatisch in einem Kreis, der älter ist – du musst ja auch erst mal eine Familie unterbringen können – spannende Menschen mit spannenden Lebensgeschichten. Dass dich Jüngere eher nicht einladen, ist klar, aber verschmerzbar. Partymachen und über den letzten Hangover reden, das hatten wir alles schon. Interessant erschien es uns, andere Familien zu entdecken. Andere Familienkonstruktionen. Denn wir selbst sind nun auch gerade nicht die typische Kleinfamilie. Wie würden andere auf uns reagieren? Wie gerne wären wir willkommen?

Dass wir auch ein Beispiel sein können und Mut machen, das hatten wir in eine unserer ersten Couchsurfing-Erfahrung als Gastgeber gelernt. Ein chinesischer Austausch-Student aus Berlin hatte uns angeschrieben. Er wollte uns kennen lernen, wohl wissend, dass wir eigentlich alleinreisende Männer nicht unbedingt einladen – zu viele finden zwei Lesben einfach sexy und wollen „sowas“ mal von Nahem sehen. Aber jener Student schrieb so herzlich und so besonders, dass wir ihn trotzdem einluden. Eine lebensverändernde Entscheidung, für ihn und auch für uns. Denn Xi, so nennen wir ihn hier einfach mal, ist schwul, wie er erzählte. Und wir begriffen erst später, dass wir es waren, denen er dieses Geheimnis das allererste Mal verriet. Uns. In unserem kleinen Häuschen in Spadenland.

Uns zu sehen, unser Leben mit den beiden Kindern, das erschien ihm, als sei er in eine der US-amerikanische TV-Serie versetzt, die er sich hin und wieder ansah. Bis zu unserem Treffen hatte er noch nicht einmal sich selbst gegenüber den Mut gefunden, sich einzugestehen, dass er schwul ist. Bei uns fand er das erste Mal den Mut, über all seine lang verstecken Wünsche und Sehnsüchte zu sprechen. Im restriktiven China undenkbar. Dort hatte er für sich keine Lebensperspektive mehr gesehen. Nicht unbedingt, weil Homosexualität verboten wäre, eher wegen des gesellschaftlichen Drucks, der gerade auch mit Chinas Ein-Kind-Politik enorm sein muss. Wenn dich immer jemand fragt, wann du heiratest, alle, dein Chef, deine Arbeitskollegen, deine Freunde sowieso – eine Privatsphäre gibt es in dieser Hinsicht nicht. Horror. Für Xi jedenfalls. Er gestand uns, dass er auch drüber nachgedacht hat, sich umzubringen.

Insbesondere Alex, die ehrenamtlich in Hamburg im Magnus-Hirschfeld-Zentrum für die Aufklärungsgruppe „Soorum“ arbeitet, half Xi feinfühlig und mit vielen guten Tipps, für sein Leben eine andere Perspektive zu entwickeln. Sich zu trauen. Immerhin lebte er in Berlin. Zusammen suchten sie schwule Bars und schwule Sportclubs raus, “gayromeo”, eine schwule Internetdating-Plattform, wurde getestet. Xi blühte auf. Zwei Tage  blieb er bei uns. Danach fuhr er leichten Herzens wieder nach Berlin. Ein halbes Jahr hatte er noch vor sich. Das wollte er nutzen. Und danach sollte es möglichst nicht nach China zurück gehen, und wenn, dann nur für kurze Zeit. Es zog ihn nach Deutschland, vielleicht nach Holland. Seine Eltern wären nicht traurig darum, ihren Sohn so weit weg in Europa zu wissen. Dort wäre er immerhin sicher vor den chinesischen Umweltgiften, die sich, so Xi, überall im Essen fänden. Für ihn wäre es auch gut. Er könnte seinen Eltern die Schande ersparen, einen schwulen Sohn zu haben. Sie könnten stolz auf ihn sein, es in Europa zu etwas gebracht zu haben. Spannend, wie es mit ihm weiter geht. Bis heute bekommen wir ab uns zu Mails, wo er uns von seinen neuesten Abenteuern in der schwulen Szene berichtet.

Und noch immer haben wir eine Gänsehaut, wenn wir die Geschichte mit Feng erzählen. Bewegend war das und es hat auch unseren Horizont geöffnet. Das kann Couchsurfing sein. Menschen können sich ehrlich austauschen, sich berühren, verändern – und werden auch selbst verändert. Spannend. Etwas, das wir unbedingt weiter machen wollen.

Wo habt ihr das erste Mal vom Couchsurfing gehört? Welche Erfahrungen habt ihr mit Couchsurfing gemacht?

Petra