Eine Regenbogenfamilie unterwegs

Die Regenbogenfahne steht nicht nur für den Frieden, sondern für Homo- und Bisexualität. Für die Rechte von Lesben und Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intersexuellen, weltweit – seit dem Aufstand in New York im Club “Stonewall Inn” in den Sechzigern, als sich die Besucher gegen Polizeigewalt und Kleiderordnung wehrten.

Eine Regenbogenfamilie unterwegs - Dykes on bikes im Castro Viertel, San FranciscoDamals gab es in den USA noch einen Erlass, der Männern und Frauen vorschrieb, mindestes drei geschlechtsspezifische Kleidungsstücke zu tragen. Also für Frauen etwa BH, Rock, Damenschuhe und für Männer Hose, Herrenschuhe, Jacket. Wehe, wenn nicht. Homosexuelle waren leicht erkennbar. Und auch in Europa ging es ähnlich zu, Nichtheterosexuelle wurden massiv, auch polizeilich, verfolgt. Die Regenbogenfahne steht seitdem für die Akzeptanz aller Lebens- und Liebesformen, für Lebensfreude und Spaß an der Vielfalt des Lebens.

Eine Regenbogenfamilie unterwegs - Im Canterbury Museum, Christchurch, NeuseelandWir sind eine Regenbogenfamilie. Zwei Lesben und ihre Söhne, und nun seit dem Sommer 2014 auf Weltreise. Wie konnte denn das passieren, mit den Kindern, nur zwei Frauen? Wir schauen immer wieder in irritierte Gesichter. Schnell gibt es viele Fragen. Fragen, denen sich Heterofamilien nie stellen müssen. Zumindest nicht beim Smalltalk nach den ersten Minuten. Wie denn die Zeugung war? Erzähl doch mal! Ob es beim ersten Mal geklappt hat? Und ob es ein ärztliches Nachhelfen gab? Aber wir haben uns daran gewöhnt und nur die Offensive hilft gegen unangenehme Gefühle und Vorurteile.

Eine Regenbogenfamilie unterwegs - In SingapurEigentlich müsste es sich herumgesprochen haben, dass auch Lesben Kinder haben, aus früheren Beziehungen mit Männern und auch Wunschkinder in einer reinen Frauenbeziehung wie bei uns. Es gibt erwachsene Kinder aus homosexuellen Familien, Artikel, Bücher und Filme über Regenbogenfamilien. Es gibt so viele Wege. Eine Samenbank im Ausland, ein guter Freund, ein Vorleben? In unserem Fall war es wieder anders. Im Schwul-Lesbischen Magnus-Hirschfeld Zentrum, in der Hansestadt Hamburg, gibt es nicht nur Beratung, eine Bücherei, viele Freizeitgruppen und Partys, sondern auch ein monatliches Treffen für Lesben und Schwule mit Kinderwunsch. Und dann? Einmal gesehen, zack Familie? Nein, erst einmal gab es ein monatelanges Werben umeinander. Das Männerpaar: „Wir wollen eine Familie, wo alle ganz nah zusammenwohnen, im gleichen Haus oder zumindest im gleichen Stadtteil. Die Frauen: „Aber wir wollen doch ins Grüne ziehen!“ Dazu noch der erste Eindruck von mir: mit Bierflasche in der Hand. Und dann mit einer zweiten nach der Gruppe! Was zur absurden Fehleinschätzung führte: “Die trinkt doch! Ganz bestimmt.“ Man muss schließlich aufpassen, wen man sich so ins Haus holt.

Wir mailten, ich warb, ich hatte vom ersten Augenblick an ein gutes Gefühl und das täuscht mich selten. Sind Kompromisse vielleicht doch möglich? Treffen folgten. Sich kennenlernen. Regelmäßiges Essen gehen und alles – aber auch echt alles, was uns zum Thema Kind einfiel – beschnacken. Und dann die Entscheidung: „Ja, wir wollen eine Familie werden!“

Wenn Menschen Vorbehalte haben, fällt uns diese erste Zeit ein. Wer bitteschön bereitet sich so gründlich auf das Elternsein vor? Tauscht sich mit andern Eltern aus, liest viele Bücher, setzt sich mit kritischem Nachfragen auseinander, stellt sich selbst in Frage? Wer ist zu viert für die Kinder da und bietet eine riesige Familie?

Die Indiskreten fragen ganz direkt. Und wie war’s? Wir antworten offen. Es war recht einfach. Mit Zeit und Liebe und den Geschenken des schwulen Paares. Muss übrigens nicht gekühlt werden. Kommt ja auch nicht gekühlt aus dem Körper. Wir brauchten keinen Doktor und keine Chemie. Das geht. Aber wir sind uns im Klaren darüber, dass wir großes Glück hatten. Und das zwei Mal. Wir sind 2009 sehr dankbar über das Wachsen unseres ersten Wunders. Im September wird Anton geboren.

Drei Jahre später folgt das zweite niedliche Wesen. Wider Erwarten wird es ein zweiter Junge. Theo. Von wegen: “Wenn dir monatelang übel ist, dann wird es ein Mädchen!” Auch wenn wir gerne Mädchen und Jungen gehabt hätten, freuen wir uns sehr auf die Jungs-Bande und das Erziehen von Jungs, die zu hoffentlich guten, fairen, neuen Männern heranwachsen werden.

Im Sommer 2013 bekommt Petra die Hiobsbotschaft, dass ihr Arbeitsvertrag nicht mehr verlängert wird. Was nun? Katastrophe. Joblos. Ab dem nächsten Sommer. Aber was, wenn es einfach so sein sollte? Wenn das jetzt nicht das böse Ende, sondern der Anfang etwas ganz besonders Guten ist?

Wir verbringen zum wiederholten Male den Urlaub im wunderschönen kleinen Familienhotel „Club Orient“ an der türkischen Olivenriviera. Da, wo patschende Kleinkinder nicht stören, wo die legendäre türkische Kinderfreundlichkeit uns Deutschen Lehrmeister ist und Eltern plötzlich merken, dass sie auch Menschen sind und nicht ausschließlich Eltern. Die Zeit dort tut uns so gut. Wir beide haben uns gegenseitig in der letzten Zeit nicht wirklich gut getan. Dort kommt Petra mit der Frage: “Warum gehen wir nicht ein Jahr auf eine Weltreise?!”

Eine Weltreise? Na klar. Ganz bestimmt. Was ist denn das für eine verrückte Frage? Ging es nicht gerade um Jobsuche, Zukunftsängste, die totale Erschöpfung? Und davor darum, dass das Auto bald seinen Geist aufgeben wird? Wir doch eigentlich etwas Bleibendes schaffen wollten, einen Lebensort, in Deutschland, in Hamburg. Seit Jahren ist ein Hofprojekt und vieles andere denkbar, nachdem die Kinder nicht mehr winzig sind. Und dann einfach weg? Alles Gesparte verprassen?

“Gibt es etwas, was du mir verschweigst? Nur noch kurze Zeit zu leben oder sowas?” Nein, schwört Petra. Es ist einfach nur das große Fernweh. Das neu anfangen wollen. Die große Lust auf die Welt. Auf etwas ganz Neues. Lust auf mehr Mut. Und das Wissen, dass wir in jedem Urlaub immer wieder näher zusammengewachsen sind, uns Eine Regenbogenfamilie unterwegs Eine Regenbogenfamilie unterwegs - bei Greymouth, Neuseelandwieder gefunden haben. Mit Abstand zum Alltag und offen für Neues werden wir immer wieder zu anderen Menschen, zu besseren, tun uns wieder gut. Und besinnen uns auf das Wesentliche. Gibt es bessere Gründe für eine Weltreise? Gemeinsam ein Buch darüber zu schreiben, gemeinsam einen Blog darüber zu gestalten, ein gemeinsames berufliches Projekt zu verwirklichen, besser geht`s doch nicht.

Als wir ein paar Tage später beschließen, auf die große Reise zu gehen, ein Jahr lang um die ganze Welt, fragen wir vorsichtig aus der Türkei per Mail bei den Papas der Kinder an. Können sie sich vorstellen, uns zu besuchen, in anderen Teilen der Welt und sonst nur per Bildtelefon Kontakt zu haben? Sie schweigen zunächst. Es ist tatsächlich schwer vorstellbar. Aber schließlich gönnen sie uns die Reise, sie würden genauso entscheiden, wären sie in der gleichen Situation.

In den nächsten Monaten geht es um die Reiseroute, im Wohnzimmer liegen zig Reiseführer, Karten, Sprachkurse. Da liegen sie gut. Denn wer hat schon Zeit für ein Jahr Reiseplanung? Ich knöpfe mir zumindest Irland vor, das erste angepeilte Land, vertraut und liebgewonnen aus Interrail-Tagen, Kanada und ein bisschen USA sowie Chile, ein Land in das ich schon immer wollte. Für mehr reicht die Zeit nicht, dann hört die Planung auf. Vielmehr geht es hauptsächlich darum, was sind gefährliche oder ungefährliche Länder, wo muss geimpft werden und wie sind die klimatischen Bedingungen. Letzteres ist gar nicht so einfach, niemand will schließlich in eine Regenzeit oder einen Taifun geraten.

Die Seiten des Auswärtigen Amtes, die über Gefahren auf Reisen informieren, sind ebenso angsteinflössend. Meine Güte, so viel Gewalt überall, auch Entführungen, da sind Taschendiebe nur das kleinste Problem. Du weisst es, du siehst es täglich im Fernsehen oder in der Zeitung, aber wenn du reist, musst du dich erst wirklich damit auseinandersetzen.

Um was sich Heteros keine Gedanken machen müssen: Gewalt gegen Homos. Es gibt eine Weltkarte über die Regionen, in denen unsere Familienkonstellation uns und die Kinder in Gefahr bringen könnten.Eine Regenbogenfamilie unterwegs - ILGA World MAP 2013, © www.ilga.org Fast ganz Afrika gehört dazu, die arabischen Länder sowieso, Russland und große Teile der Karibik. Auch im Süden der USA wäre ich in der Pampa vorsichtig mit der Offenheit, so genannte Hate Crimes, sind keine Seltenheit. Positive Überraschungen hatte Südamerika zu bieten, da ist man teilweise weiter als hierzulande, was die Rechte von Homos, Trans- oder Intersexuellen angeht. Also geht es mehr im Ausschluss- als im Auswahlverfahren voran.

Und wovon träumst du? Petra will unbedingt nach Asien, nach Vietnam, nach China, noch weiter. Da wäre dann das leidige Impfthema. Impfkritiker und -befürworter liefern sich heiße Schlachten, da ist es schwierig, sich eine Meinung zu bilden, so extrem wie beide Seiten agieren. Natürlich sind wir eher auf der kritischen Seite, möchten so wenig impfen wie möglich, aber so viel wie nötig. Und Asien geht nicht ganz ohne. Peru fällt leider wegen seiner Gelbfieberregionen aus. Auch wenn du nicht dorthin reist, kann es Probleme bei der Einreise in andere Länder geben. Sie könnten sogar eine Gelbfieberimpfung am Flughafen verlangen. Das käme auf keinen Fall in Frage. Also kein Peru, kein Machu Picchu. Manches, wie Malaria, lässt sich dadurch lösen, nicht in regenzeitnahe Zeiten zu geraten und Notfallmittel dabei zu haben, dazu ein Mückennetz und fleissig einzusprühen. Außerdem fahren wir nur in ganz klar in ausgewiesene Malaria-freie Zonen der entsprechenden Länder. Die Insellagen vieler Gebiete machen dies möglich.

Trotzdem haben wir viel auszudiskutieren und ein blödes Gefühl, als wir uns alle impfen lassen. Aber es gibt keine Impfreaktionen und wir hoffen, dass die vielen guten Anregungen, die eine Weltreise für das Immunsystem hinterlassen, besser sind als die schlechten.

Nach all den Monaten der Vorfreude, der Ängste, der Vorbereitung, sind wir am ersten August 2014 endlich unterwegs. Die Väter der Kinder fahren uns zum Flughafen. Die letzten Wochen waren sehr anstrengend gewesen, wir sind vor Arbeit schier verrückt geworden. Das Haus zu vermietet zu bekommen, es auszuräumen, alles auf den Dachboden zu schaffen, zu putzen, der Garten, schnell noch einen Führerschein und den alten Bauwagen wiederholen, dazu die alltägliche Arbeit – Petra hat bis zwei Wohen vor der Reise voll gearbeitet und wegen Sommeraufzeichnungen auch noch doppelt so viel wie sonst – ; das war alles sehr viel. Dazu kamen viele bewegende Minuten und Stunden mit seltsamen Zufallsbegegnungen und vor allem die wichtigen Abschiede mit Freundinnen, Freunden und der Familie. Da fing es schon an, das offener werden. Wie sich das Herz öffnete, denen, die sich Zeit nahmen, uns nochmal zu sehen und uns gegenseitig zu beteuern, was wir einander bedeuten. Das war so grandios, so groß, dass die Reise da gar nicht würde mithalten können. Oder doch? Auf jeden Fall sind wir voller Mut und Kraft und Liebe, als wir die Reise um die Welt antreten.

Alex